sorbische Literatur

sorbische Literatur
sọrbische Literatur,
 
die Literatur der Lausitzer Sorben (Wenden) in ober- und niedersorbischer Sprache (sorbische Sprache). - Der erste überlieferte Text ist der »Bautzener Bürgereid«, ein obersorbischer Huldigungseid aus einer Urkundensammlung von 1532. Im Zeichen der Reformation schufen sich die Sorben ein religiöses Übersetzungsschrifttum: 1548 übertrug Mikławš Jakubica das Neue Testament handschriftlich ins Niedersorbische. Als erstes gedrucktes niedersorbisches Buch gilt ein Gesangbuch mit Übersetzung des Katechismus (1574) des Pfarrers Albin Moller (Mollerus; * 1541, ✝ 1618), als erstes obersorbisches ein Katechismus mit Erläuterungen zur sorbischen Sprache (1595) von Wjacław Wawrich (Warichius; * 1564, ✝ 1618). Nach dem Dreißigjährigen Krieg erschienen eine obersorbische Übersetzung des Neuen Testaments (um 1670, gedruckt 1706), eine niedersorbische (1709) sowie eine niedersorbische des Alten Testaments (1796). Hinzu kamen grammatisch-lexikalische Werke von Jan Chojnan (* 1616, ✝ 1664; 1650, zum Niedersorbischen) und Jurij Hawštyn Swětlik (* 1650, ✝ 1729; zum Obersorbischen). Mit dem Druck der ersten obersorbischen Grammatik (»Principia linguae Wendicae«, 1679) von Jakub Xaver Ticin (* 1656, ✝ 1693) in Prag wurde die katholische Schriftsprachenvariante der Obersorben begründet. Im Werk des evangelischen obersorbischen Pfarrers Jurij Mjeń (* 1727, ✝ 1785), der F. G. Klopstock übersetzte und auch eigene Oden verfasste, zeigten sich die ersten Ansätze einer weltlichen Dichtung, die sich im Zeichen der Aufklärung stärker ausprägte. - Neben der beginnenden schriftlichen Literatur gab es in sorbischer Sprache mündlich überlieferte Stoffe (in Form von Sprichwörtern, Liedern, Märchen, Sagen, z. B. »Meister Krabat«); epische Großformen fehlen.
 
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, während der so genannten nationalen Wiedergeburt, kam es unter dem Einfluss der Romantik zur nationalen Selbstbesinnung der Sorben. Ab 1842 erschien die obersorbische Wochenschrift »Serbske Nowiny« (1920 als Tageszeitung); Leopold Haupt (* 1797, ✝ 1883) und J. A. št Smoler sammelten und edierten ober- und niedersorbische Volkslieder, 1847 wurde in Bautzen die »Maćica Serbska« (1880 in Cottbus eine niedersorbische Abteilung) zur Pflege des Volkstums und zur Erforschung von Sprache, Kultur und Geschichte der Sorben gegründet. Rudolf Mjeń (* 1767, ✝ 1841) schrieb als Erster Gedichte und Lieder im Volkston. Der eigentliche Begründer der obersorbischen Literatur war Handrij Zejleŕ, der Naturlyrik im Geist der Volkslieder sowie subjektive patriotische und religiöse Gedichte schrieb. Der Lehrer Jan Wjela-Radyserb (* 1822, ✝ 1907) sammelte fast 10 000 Sprichwörter und 6 000 Redewendungen, er schrieb Balladen und historische Novellen.
 
Nach 1870 formierte sich die nationalbewusste Bewegung der »Jungsorben«, ab 1876 erschien ihre Zeitschrift »Lipa Serbska«, ab 1882 »Łužica«; sorbische Gelehrte bemühten sich um die Herausgabe von Literatur und die philologische Untersuchung von Dialekten und Sprachdenkmälern. Als Dichter im Übergang zur Moderne ragte der Obersorbe Jakub Bart-Ćišinski (* 1856, ✝ 1909) hervor, der, von der tschechischen Neuromantik beeinflusst, mit der folkloristischen Volksliedtradition brach und neue Genres, Stilelemente und Inhalte einführte. Ihm folgten Jan Skala (* 1889, ✝ 1945) mit sozialer Thematik, Jan Lajnert (* 1892, ✝ 1974) mit naturnaher Gefühlslyrik, Jurij Chěžka (* 1917, ✝ 1944) mit innovativen symbolischen Gedichten und die niedersorbische Dichterin Mina Witkojc (* 1893, ✝ 1975) mit vielfältigen patriotischen Versen. In der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg bereicherten die obersorbischen Prosaschriftsteller Jakub Lorenc-Zalěski (* 1874, ✝ 1939), Marja Kubašec (* 1890, ✝ 1976) und Romuald Mikławš Domaška (* 1869, ✝ 1945) die Gattung durch moralisierende Dorfgeschichten und historisch-romantische Erzählungen beziehungsweise Romane; Bedeutung erlangten der niedersorbische Erzähler Mato Kosyk (* 1853, ✝ 1940) sowie die Lyriker Mato Rizo (* 1847, ✝ 1931), Fryco Rocha (* 1863, ✝ 1942) und die Dramatikerin Marjana Domaškojc (* 1872, ✝ 1946).
 
Vertreter der neueren sorbischen Literatur (nach 1945), die zunächst den Anspruch des sozialistischen Realismus erfüllten, waren v. a. die obersorbischen Autoren Měrćin Nowak-Njechorński (* 1900, ✝ 1990; literarische Reportagen, Satiren) und Jurij Brězan (Romane, Erzählungen, Dramen): Letzterer begründete (1951) die Zweisprachigkeit der modernen sorbischen Literatur, die zur Zeit der DDR eine feste materielle und organisatorische Basis erhielt. Wichtige Autoren der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind bei den Obersorben die Prosaiker Anton Nawka (* 1913, ✝ 1998), Marja Młynkowa (* 1934, ✝ 1971), Jurij Krawža (* 1934, ✝ 1995) und Jurij Koch (* 1936) sowie die Lyriker Kito Lorenc (* 1938), Benedikt Dyrlich (* 1950) und Róža Domašcyna (* 1951); bei den Niedersorben Herbert Nowak (* 1916) und Ingrid Naglowa (* 1939).
 
 
R. Jenč: Stawizny serbskeho pismowstwa, 2 Bde. (Bautzen 1954-60);
 P. Malink: Die s. L., 2 Bde. (ebd. 1958-59);
 J. Młyńk: 400 Jahre sorb. Schrifttum (a. d. Obersorb., ebd. 1960);
 M. Młynkowa u. J. Młyńk: Serbska literatura 50./60. lět (ebd. 1963);
 P. Nedo: Grundr. der sorb. Volksdichtung (ebd. 1966);
 H. Kaltšmit: Leksikon awtorow serbskich knihow. 1945-1978 (ebd. 1979);
 
Serbska čitanka. Sorb. Leseb., hg. v. K. Lorenc (Leipzig 1981);
 
Chrestomatija dolnoserbskeho pismowstwa, hg. v. F. Mětšk (Bautzen 21982);
 
Nowy biografiski słownik stawiznam a kulturje Serbow, hg. v. J. Šołta u. a. (ebd. 1984);
 S. Brězan: Dt. Aufklärung u. sorb. nationale Wiedergeburt (1993);
 
Perspektiven s. L., hg. v. W. Koschmal (1993);
 W. Koschmal: Grundzüge sorb. Kultur (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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